Lois Anvidalfarei lässt im Bewusstsein der Moderne eindrucksvolle Gefühle und vergessen geglaubte Empfindungen wiederaufleben. Und er geht diesen Weg im Einklang mit seinem täglichen Leben, das jener Teil der Welt dort oben im Takt der Jahreszeiten zu führen erlaubt. Der Geruch des getrockneten Kleeblatts der Almen, vermischt mit dem eigentlichen Wesen der Alpen, durchdringt ganz behutsam den Gips der Skulpturen und wird Teil von ihnen.
Aber nichts Ländliches kann diese Werke verderben. Nichts Bäuerliches. Es handelt sich um eine weitaus ernstere Frage. Dieser unendliche Raum, diese glasklare Luft führen zu ganz anderem Enthusiasmus. Es ist das menschliche Sein, welches sich mit der Natur und dem Himmel misst. Es ist das menschliche Sein, welches sich mit der göttlichen Metaphysik misst. Und auf diese Weise enthüllt es seine eigene Dimension, die körperlich und pulsierend ist, sehr lebendig und empfindungsreich.
Philippe Daverio
Anvidalfarei ist einer der wenigen großen Darsteller des menschlichen Körpers, den er, ähnlich wie der Engländer Lucian Freud, in seiner jeweiligen machtvollen Leiblichkeit erfährt. Er ist bei seinem Vorgehen weder Idealist oder, wenn man die Tradition des 20. Jahrhunderts betrachtet, einer strengen Form zugeneigt, sondern entwickelt aus der Beobachtung seines Gegenübers ein Gefühl für die materielle Schwere bei gleichzeitiger „Feier des aufrechten Gangs“.
Prof. Peter Weiermair | Direktor der Galleria d’Arte Modema, Bologna
Doch woran entzündeten sich die Debatten um Anvidalfareis Kunst? Die Antwort liegt auf der Hand – es ist seine Obsession von Körperhaftigkeit mit all ihren Implikationen, es ist seine offensichtliche Lust am Auskosten der Körperfülle und –oberflächen, die das Publikum unbewusst spürt und die auf eine bedrohlich erscheinende unbekannte Dimension hinter und unter unserer entsinnlichten Alltagswelt hinweist:
Anvidalfarei ist keineswegs zu abstrakt oder zu wenig realistisch, was traditionalistische Kreise üblicherweise den zeitgenössischen Objektkünstlern vorwerfen. Nein, Anvidalfarei ist genau das Gegenteil davon – er ist zu wahrhaftig, zu intensiv, zu lebendig, als dass man davon unbehelligt bleiben könnte. Seine sinnliche Botschaft spricht jeden an, ganz unmittelbar, ganz unausweichlich, vollständig presänt im Hier und Jetzt. Und das ist der wahre Kern so vieler Kunstkonflikte – wahre Kunst beunruhigt, weil sie in unserer synthätischen und unverbindlichen Lebenswelt durchaus störend wirkt, weil sie auf Hinter- und Untergründiges hinweist, dessen lustvolle Kultivierung die gesellschaftlich verordnete Zwangsruhe ein wenig ins Wanken brächte.
Matthias Boeckl